Ein Tag des Gedenkens, der Mahnung und der Hoffnung

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Vizebürgermeisterin Katharina Zeller (von links), Regierungskommissar Vito Cusumano, Bürgermeister Dario Dal Medico und Elisabetta Rossi Borenstein, Präsidentin der Jüdichen Gemeinschaft Meran.

Heute (26. Januar) fanden am Ort des Gedenkens in der Zueggstraße und vor der Statue "Das betende Mädchen" in der Otto-Huber-Straße zwei Gedenkveranstaltungen in Erinnerung an alle Opfer des Holocausts statt.

An beiden Gedenkveranstaltung nahmen der Regierungskommissar der Autonomen Provinz Bozen, Präfekt Vito Cusumano, der Bürgermeister von Meran Dario Dal Medico, die Vizebürgermeisterin Katharina Zeller, die Prä#sdidetin der Jüdischen Gemeinschaft Elisabetta Rossi Borenstein, der emeritierte Präsident Federico Steinhaus, der Vizepräsident Mirko Wenter sowie zahlreiche zivile und militärische Behörden statt.

Auf dem Areal der ehemaligen Bosin-Kaserne in der Zueggstraße statt entstand in den Jahren 1938 und 1939 eine Kaserne für das Kommando der italienischen Grenzwache für den 13. Abschnitt des faschistischen Alpenwalls, der Befestigungslinie im Vinschgau und im Passeiertal. Anfangs "Venosta" getauft, wurde die Kaserne dann dem 1941 in Albanien gefallenen und mit der silbernen Ehrenmedaille des italienischen Heeres ausgezeichneten Alpini-Hauptmann Leone Bosin gewidmet.

Eine Tafel an der Umfassungsmauer, dem heutigen "Ort des Gedenkens" erinnert daran, dass die Kaserne zwischen 1943 und 1945 von der Wehrmacht als Lager für beschlagnahmtes Material und als Nebenlager des Bozner Durchgangslagers genutzt wurde. Dort wurden Frauen und Männern aus verschiedenen Sprach- und Religionsgemeinschaften eingesperrt und zur Zwangsarbeit gezwungen. Um Weihnachten 1944 gelang es zwei jungen Frauen über die Umzäunungsmauer zu klettern und aus dem Lager zu fliehen. Dank der Hilfe einiger Meraner Bürger*innen konnten sie sich in Sicherheit bringen.

Eine unumgängliche Pflicht

"Vierundzwanzig Jahre sind vergangen, seit Italien offiziell den Holocaust-Gedenktag (27. Januar) eingeführt hat, um den Opfern des Holocaust und der Rassengesetze und all jenen zu gedenken, die ihr Leben riskiert haben, um die verfolgten jüdischen Bürger*innen zu schützen, sowie allen italienischen militärischen und politischen Deportierten nach Nazi-Deutschland. Und vierzehn Jahre sind vergangen, seit die Meraner Stadtverwaltung gemeinsam mit Vertreter*innen der Jüdischen Gemeinde Meran diesen Ort der Gedenkens offiziell eingeweiht hat. Hier treffen wir uns jedes Jahr, um eine unumgängliche Pflicht zu erfüllen: die Erinnerung an eine individuelle und kollektive Erfahrung wachzuhalten. Diese Erinnerung gilt für uns alle als Mahnung, sie trägt aber auch die Funken der Hoffnung in sich. Hoffnung für uns und für die jüngeren Generationen", betonte Bürgermeister Dal Medico in seiner Ansprache.

Die Erinnerung ist eine zerbrechliche Angelegenheit

"Das Gedächtnis zu üben und zu kultivieren bedeutet, sich an die Vergangenheit zu erinnern, sich aber auch bewusst zu sein, dass wir alle ein Teil davon sind. Es bedeutet, die Welt des Hier und Jetzt sowie die zukünftige als eine Welt begreifen zu wollen, die wir gemeinsam verbessern können und müssen. Und es ist ein unerlässlicher Akt, wenn wir weiterhin die Kultur des Zusammenlebens, der Toleranz und des gegenseitigen Respekts fördern und stolz auf unsere Art des Miteinanders sein wollen. Um dies zu erreichen, müssen wir auch beim Erzählen, bei der Weitergabe der Erinnerung immer die größte Sorgfalt und die ganze Sensibilität aufbringen, zu der wir fähig sind, denn die Erinnerung ist eine heikle und zerbrechliche Angelegenheit, ebenso zerbrechlich und verletzlich wie unsere Präsenz in dieser Welt. Um sie besser zu verstehen, muss die Erinnerung natürlich auch überprüft und geklärt werden, so wie man es mit jeder historischen Quelle tut. Und sie muss vor der Gleichgültigkeit geschützt werden, die leider so viele große Ereignisse der jüngeren und der zeitgenössischen Geschichte begleitet hat und immer noch begleitet. Schließlich muss die Erinnerung auch vor Manipulationsversuchen geschützt werden, denn Gedenken heißt, wie der deutsche Philosoph Max Horkeimer schrieb, nicht nur die Erinnerung an die Vergangenheit zu bewahren, sondern auch ihre Hoffnungen zu verwirklichen", betonte Bürgermeister Dal Medico in seiner Ansprache.

Allen Opfern gedenken

"Die Verfolgung und der Völkermord an den europäischen Juden ist eines der dunkelsten und schrecklichsten Kapitel der Menschengeschichte. Die Verbrechen jener Zeit, haben auch vor den Menschen in unserer Stadt nicht Halt gemacht, und wir sind heute hier um allen Opfern zu gedenken. Der Tag des Gedenkens ermahnt uns, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und für Gerechtigkeit, Frieden und gegen jede Form der Diskriminierung einzustehen. Gerade in Zeiten, wo der Antisemitismus zunimmt, sind wir alle als Erinnernde gefordert. Die aktuellen politischen Entwicklungen zeigen auf, wie wichtig es ist, die Geschichte niemals zu vergessen. Ein Blick nach Deutschland reicht, um den Vormarsch von rechtspopulistischen Parteien wahrzunehmen, die zum Teil mit Nationalsozialistischen Ideologien liebäugeln. Als Institution, die auf den Werten von Toleranz, Respekt und Gerechtigkeit beruht, erheben wir gemeinsam die Stimme gegen jede Form von Diskriminierung und stehen entschlossen für den Frieden ein", hob Vizebürgermeisterin Katharina Zeller hervor.

Damit sich Auschwitz nicht wiederholt

"Diese Zeremonie", betonte der Regierungskommissar, Präfekt Vito Cusumano, "erinnert an eine der größten Tragödien der Menschheitsgeschichte. Der 27. Januar 1945, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, hat den Wert eines Meilensteins, den alle Nationen damals anerkannten - mit dem Ziel und der festen Absicht, das Geschehene aufzuklären, damit es sich nie wiederholen kann. Wir müssen an diesem Punkt ansetzen, um jedem Ort, jedem Symbol zu gedenken. Es muss unsere gemeinsame Verpflichtung sein, Momente des Nachdenkens zu fördern, die es uns ermöglichen, die positiven Werte, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen, zu festigen und zu vermitteln. Für die Verteidigung dieser Werte, für die Förderung des Dialogs, der gegenseitigen Zusammenarbeit, des Teilens und der Demokratie setzen sich die Institutionen jeden Tag an allen Fronten ein".

Orte machen das Gedächtnis lebendig

Die zweite Gedenkveranstaltung fand im Innenhof des Wohnhauses in der Otto-Huberstraße 36 statt, vor der Statue "Das betende Mädchen". In den Kellern des Gebäudes in der Huberstraße 36 hielten Männer des SOD, des Südtiroler Ordnungsdienstes, der SS und der Gestapo am 16. September 1943 Meraner Juden gefangen, die noch in derselben Nacht in das Konzentrationslager Reichenau deportiert wurden. Diejenigen, die dort nicht den Tod fanden, wurden später nach Auschwitz-Birkenau überstellt. Von der Gruppe der Meraner Juden hat nur Walli Hoffmann - im KZ Ravensbrück - überlebt. Die Statue wurde von Géza Somoskeõy um 1950 zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus fertig gestellt. Somoskeõys Mutter gehörte der Judischen Gemeinde Meran an. Das Kunstwerk wurde neben dem damaligen und inzwischen abgerissenen GIL-Gebäude - auch als Casa del Balilla bekannt - aufgestellt.

"Zum zweiten Mal in Folge haben die Stadtverwaltung und die Jüdische Kultusgemeinde Meran beschlossen, den Gedenktag nicht nur am Ort des Gedenkens in der Zueggstraße zu begehen, sondern auch in diesem besonderen Winkel unserer Stadt, vor dem 'Betenden Mädchen'. Auch dies ist - und das soll auch so bleiben - ein symbolträchtiger Ort des Gedenkens. Durch die Erinnerung wählen wir die Werte, von denen wir uns als Einzelne und als Gemeinschaft leiten lassen. Durch die Erinnerung können wir, wenn wir uns an die tragische Faszination ebenso tragischer Projekte erinnern, gemeinsam die Welt neu gestalten", so Bürgermeister Dal Medico.

"Und es ist ein Ort des Gedenkens, weil Erinnerung Orte braucht, um lebendig zu bleiben, um weitergegeben zu werden. Sie braucht einen Raum, eine Geste, ein Bild. Sie braucht Worte, und auch Musik. Und natürlich auch das klare Bewusstsein und den tiefen Sinn für das Gemeinsame, das uns heute hier vereint und auf dem jede wahre Demokratie beruht", so Dal Medico.

Ani Maamin

Diese zweite Zeremonie wurde musikalisch von Christine Plaickner (Querflöte), Liedern und Gebeten aus der hebräischen Tradition - darunter Ani Maamin, ein Volkslied, das an die Shoah erinnert, aber auch die Liebe zum Leben feiert - sowie von Lesungen in italienischer und deutscher Sprache von den Student*innen der Klassen 2LSAB und 1LSAB (angewandte Wissenschaften), 1LLA (Sprachengymnasium) des Gandhi-Instituts.

Der Regierungskommissar, Präfekt Vito Cusumano, wandte sich in seiner Ansprache vor allem an die anwesenden Jugendlichen und bekräftigte die Bedeutung der Orte des Gedenkens. Dabei erinnerte er an die Bildungsprojekte, in deren Rahmen Besuche in Konzentrationslagern für Schulen organisiert werden. "Diese Initiativen ermöglichen es, ein kulturelles Erbe, eine Bildung und ein Bewusstsein zu erwerben, das natürlich durch die Übung der Erinnerung vermittelt werden muss. Gedenktage und Zeremonien wie die heutige dienen gerade dazu, in unserem Gewissen, in unseren Gedanken - mehr als in unseren Worten - die Warnungen und Hoffnungen der Vergangenheit zu erneuern. Sie sind bereichernde Momente, denn sie lassen uns darüber nachdenken, wie wichtig es ist, all das zu bewahren, was danach kam, was wir heute sind. Ich würde mir wünschen, dass in den sozialen Netzwerken, vor allem in denen, die von euch Jugendlichen am meisten genutzt werden, auch auf diese Momente des Nachdenkens hingewiesen wird, weil sie euer Potenzial, in das ich großes Vertrauen setze, zum Ausdruck bringen und sichtbar machen würden. Ich hoffe, dass die heutige Gesellschaft durch diese Zeremonien und Botschaften die Grundsätze der Freiheit, der Solidarität, der Zusammenarbeit und des Friedens, die wir alle zu verteidigen aufgerufen sind, bekräftigen wird. Die Institutionen sind anwesend, um dieses Engagement zu beweisen, das sie täglich in allen Bereichen ihrer Tätigkeit zeigen".

"Das Thema Shoah in der Schule zu behandeln, kann eine außergewöhnliche pädagogische Chance darstellen, auch in Bezug auf unsere Gegenwart. Eine klare Auseinandersetzung mit der Komplexität dieser Ereignisse ist eine wichtige Maßnahme für die Gegenwart, um die Antikörper zu entwickeln, die notwendig sind, um die neuen Erscheinungsformen von Diskriminierung, Unterdrückung, Rassismus und wiederauflebendem Antisemitismus zu erkennen und zu bekämpfen. Diese Vergangenheit kann und muss analysiert, verstanden und in ihrer abweichenden Entwicklung erklärt werden, auch um zu lernen, alle Alarm- und Gefahrensignale, welche die Entwicklung des zivilen und demokratischen Lebens und die Achtung der grundlegenden Menschenrechte weiterhin gefährden, rechtzeitig zu erkennen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit und der Versuch, sie zu verstehen, hilft uns - heute mehr denn je - die Gegenwart zu verstehen und zu leben: Es ist ein Weg, eine aktive und bewusste Bürgerschaft in unserer Gesellschaft auszuüben",  so die Präsidentin der Jüdischen Gemeinde Meran, Elisabetta Rossi Borenstein, in ihrer Ansprache.

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26.01.2024

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